Analoge Fotografie als neue Achtsamkeit?

Oder die Rückkehr eines Mediums, das nie ganz weg war

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Wer heute durch die Social-Media-Kanäle der Fotografie-Influencerinnen scrollt, entdeckt zunehmend ein neues (altes?) Thema: analoge Fotografie. Gemeint ist nicht die kontinuierliche Arbeit auf Film, wie sie von vielen Fotografen:innen schon seit Jahrzehnten gepflegt wird, sondern inszeniert als eine Art Revival, als entschleunigte Gegenwelt zur digitalen Überreizung.

Plötzlich gilt der Film als Medium der Achtsamkeit, einer tieferen Verbindung zum Motiv. Manche sprechen gar von einem „meditativen Akt“ des Fotografierens. Was auffällt: Die meisten, die das so zelebrieren, sind mit der digitalen Fotografie groß geworden und haben nie analog arbeiten müssen.

Warum mich dieser Trend zwiegespalten zurücklässt

Da wird von „mehr Auseinandersetzung mit dem Motiv“ gesprochen, von „Rückbesinnung auf das Wesentliche“, von „Entschleunigung“ – meist kombiniert mit liebevoll in Szene gesetzten Retro-Kameras. Analoge Fotografie wird als romantischer Lifestyle propagiert den es so aber nie gegeben hat.

Ich habe mit der Fotografie begonnen, als es nur analog gab, kein WYSIWYG Display, keine Speicherkarten, und Autofokus wurde auch erst später erfunden. Wir haben analog fotografiert, weil wir es mussten, nicht weil es "Hipp" war. Und ja – man fotografierte anders: Überlegter, präziser. Nicht, weil es „achtsamer“ war, sondern weil es schlicht nötig war. 12/24/36 Bilder waren keine „Challenge“, sondern Alltag. Fehler waren teuer und Lernprozesse waren langsamer, aber dafür um so tiefgreifender.

Mich freut aber auch jedes ehrliche Interesse an der Fotografie und ich will diesen Trend auch nicht schlechtreden, ganz im Gegenteil: Es ist toll, wenn jemand neue Wege sucht, um sich vom digitalen Dauerfeuer zu lösen, und wenn ein Film mit 36 Bildern dabei hilft, dann begrüße ich das. Jeder Weg zur bewussteren Fotografie ist ein guter. Aber ich sehe eben auch: Vieles, was heute als analoger „Mindset“ verkauft wird, ist eher trendiger Lifestyle als ernsthafte Auseinandersetzung. Es geht mehr um Likes als um Film.

Was dabei verloren geht, ist oft die Tiefe – das Wissen um Technik, Geschichte, Fehlerkultur. Und das macht es schwierig, wenn der Eindruck entsteht, analog sei einfach nur ein weiterer Trend, den man mal ausprobiert, bevor man zum nächsten Reel übergeht.

Man erfindet die Fotografie nicht neu, nur weil man statt Speicherkarte eine Filmrolle in die Kamera einlegt.

Analoge Fotografie ohne Film?

Was in der aktuellen Diskussion oft vergessen wird: Man braucht keine analoge Kamera, um analog zu fotografieren. Wer verstehen möchte, wie sich dieses bewusste, reduzierte Arbeiten anfühlt, kann noch heute ganz einfach digital damit beginnen: Kamera in den manuellen Modus schalten, Autofokus deaktivieren, eine Festbrennweite montieren - vielleicht sogar ein manuelles Objektiv – und sich selbst zwingen, die volle Kontrolle zu übernehmen. Kein Dauerfeuer, kein „Fix it in post“, sondern Konzentration auf Motiv, Licht und Moment. Wer dann merkt, dass ihn dieses langsame, bewusste Fotografieren wirklich reizt, der kann immer noch zum Film greifen.

Es braucht keine analoge Kamera – aber schaden tut sie auch nicht.

Schlusswort

Ich fotografiere heute fast ausschließlich digital – mit Leidenschaft aber immer noch mit "analoger" Prägung. Mein allererstes Vorschaubild war nicht das Display, sondern der Blick durch den Sucher, der Augenblick in dem ich den Umschlag mit den entwickelten Bildern beim Händler öffnete. Vielleicht ist das der Grund, warum ich diesen aktuellen Trend etwas anders einordne – nicht abwertend, aber mit etwas mehr Abstand.

Zum Schluss noch ein kleiner Tipp: Fragt ältere Kolleginnen und Kollegen – viele von uns haben die Übergangszeit von Film zu Chip sehr bewusst erlebt. Und vielleicht macht ja gerade das den Unterschied: Erfahrungen aus der analogen Zeit mit den technischen Möglichkeiten von heute zu verbinden.

Schlagwörter: Analoge Fotografie, Fotografie, Technik

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Über den Autor

Michael ist Fotograf aus dem Raum Bad Kreuznach. Die Fotografie begleitet ihn schon fast sein ganzes Leben – begonnen hat er in einer Zeit ohne Speicherkarten, Displays oder Autofokus, als man Tage auf die entwickelten Bilder warten musste. Auch wenn er heute gerne digitale Technik und Bildbearbeitung nutzt, ist ihm eines geblieben: bewusst zu fotografieren. Seit über 12 Jahren widmet er sich intensiv der Porträtfotografie, mit einem besonderen Fokus auf ausdrucksstarke Männerporträts mit Charakter. Die Stadt- und Streetfotografie - die ihn schon lange begleitet - ist seit der Pandemie ein weiterer intensiver Teil seiner Arbeit. Ausgewählte Motive bietet er als Kunstdrucke in verschiedenen Formaten an.